Hage grummelte böse vor sich hin.
Noch im Halbschlaf gab Frank ein Stöhnen von sich.
Ich habe geschlafen?
Eine Woge des Glücks durchfuhr
ihn und seinen Körper. Er riss die Augen auf und wollte aufstehen, doch Hage
drückte ihn wieder runter.
„Bleib bloß liegen“, schnaubte
er. „Es sei denn du möchtest unbedingt schreckliche Schmerzen zum Frühstück
haben.“
Frank blinzelte. Die Woge des
Glücks war fort und die Erinnerungen setzten langsam ein. Keine sehr angenehme
Erinnerung.
„Kein Traum“, murmelte er enttäuscht.
Der Große schüttelte den Kopf und wirkte zum ersten Mal wirklich menschlich.
Auf seinem sonst so harten Gesicht zeichneten sich weiche Züge ab, die Frank
vorher nicht aufgefallen waren. Jedoch war er sich nicht sicher, ob dies ein
gutes oder ein schlechtes Zeichen war. „Leider nicht mein Junge“, sagte sein
Zellengenosse mit bitterem Unterton. Er sah ihn mit einem besorgten Blick an,
den Frank noch nie bei ihm gesehen hatte.
„Aber du hattest schon fast
Glück. Hulio hat dich schwer am Kopf getroffen, die meiste Zeit warst du
weggetreten ...“
Frank blickte wehleidig zu ihm
auf. Je mehr er zu sich kam und so mehr spürte er die Schmerzen, vor denen Hage
ihn gewarnt hatte. Der brennende Schmerz in seinem Eingeweiden war am
stärksten und breitete sich bis in seinen Nacken aus. Jedes noch
so kleine Anspannen seiner Muskeln schien frisches Feuer durch seinen Körper zu
schicken. Er drehte den Kopf etwas. Er hatte keine Ahnung wie er hergekommen
war, aber er konnte sich vorstellen, dass Hage ihn getragen hatte.
Aber warum hat er das getan? Jeder andere hätte mich liegen gelassen,
bis die Wärter mich gefunden hätten. Vielleicht habe ich ihn wirklich falsch
eingeschätzt.
„Wie spät ist es?“
Hage nuschelte einen Fluch.
Irgendwie sah er anders aus als sonst, er wirkte nicht so bedrohlich. Jeder
Ausdruck in seinen Zügen verriet das Mitleid, dass er für Frank empfand. „Du
hast volle drei Tage durch geschlafen und zwei davon auf der Krankenstation
verbracht, mein Junge“, antwortete er
mit Grabesstimme. „Ich hab schon gedacht du gehst mir ex, auch wenn man von
deinen Verletzungen eigentlich nicht ex gehen kann, aber du hattest Fieber.“
Er machte eine Pause.
„Die haben dich härter ran
genommen als jeden anderen.“ Hage stöhnte leise auf. „Kannst auch nicht deine
Klappe halten. Musstest einen auf starker Junge machen. Das hat die doch nur
noch mehr angestachelt! Dabei hab ich dich etwas klüger eingeschätzt, aber so
ist das eben, mit dem schätzen.“
Frank schloss die Augen kurz. Er
wollte nichts dergleichen hören.
Ich würde den dreckigen Arschloch jederzeit wieder ins Gesicht spucken.
„Ich muss pissen“, stieß er aus.
Ein winziges Grinsen schlich sich
auf Hages Gesicht. „Zögere es raus so lange du kannst.“
„Hab ich schon“, murmelte Frank
leise und verdrehte die Augen, weil er nicht fassen konnte, dass er sich das
jetzt schon antun musste. Hage seufzte.
„Ich hab dich gewarnt“, knurrte
er und half Frank schwerfällig auf. Der Schmerz schien zu explodieren und ließ
ihn etwas taumeln. Mit zusammen gebissenen Zähnen versuchte er einen Schrei zu
unterdrücken. Ihm wurde schwindelig und der Druck in seiner Blase schien seine
inneren Organe zu zersprengen.
Sobald er die Muskeln entspannte,
brannte es wie Feuer. Wenn er sie jedoch anspannte, schien alles was noch heil
war auseinander gerissen zu werden. Er musste sich regelrecht an Hage
festklammern um nicht der Länge nach hinzufallen. Zum Glück war der Große
ziemlich stark und hatte kaum Mühe Frank zu stützen. Dennoch war es Frank etwas
peinlich, so auf jemand anderes angewiesen zu sein. Hage half ihm die Hose auf
zu bekommen. Das Pinkeln war mehr als schmerzhaft. Seine Vorhaut war
eingerissen und blutig. Hage verzog das Gesicht, sagte aber nichts, wofür Frank
ihm sehr dankbar war. Er wollte gar nicht wissen, wie diese Verletzung
entstanden war. Eigentlich wollte er nichts weiter, als vergessen, dass ihm so
etwas je passiert war. Verdrängung war die beste Medizin die ihm im Moment
einfiel.
Hage half ihm auch sich wieder
anzuziehen. Wobei er sich vorkam wie ein kleines Kind.
Scheiße und ich dachte diese Zeiten wären vorbei … Jetzt schaffe ich es
nicht einmal selbst aufs Klo zu gehen …
„Kaum zu glauben“, meinte Frank
mehr zu sich selbst als wirklich an Hage gewarnt. Dieser war gerade dabei den
Reißverschluss der Hose wieder hochzuziehen. „Das jemand so kleines einen
solchen Schaden anrichten kann.“
Frank versuchte sich ein
humorloses Grinsen abzuringen, doch sein Versuch war so kläglich, dass nicht
einmal Hage es als Witz verstand.
„Du weißt anscheinend wirklich
nicht mehr alles …“
Frank verzog das Gesicht und
schloss die Augen. Da hatte er es mal wieder, er konnte einfach nicht seine
beschissene Klappe halten.
„Es ist gleich Essenszeit, wir
sollten dich schon mal in Bewegung setzten“, meinte er mit einem Blick auf die
Uhr. Frank schluckte schwer.
„Ich bin wohl kaum in der Lage
mich zu euch an den Tisch zu setzten“, murmelte er etwas beschämt.
„Du wirst draußen Essen. Ich
denke nicht dass es gut wäre wenn du mitten unter den Anderen bist“, meinte er.
„Besonders wenn ich bedenke, dass du deine große Klappe schon wieder gefunden
hast …“
Frank hielt kurz inne und fragte
sich, wie groß Hages Klappe in dieser Situation gewesen war.
Wie viele Männer haben sie wohl gebraucht um einen Mann wie ihn,
festhalten zu können?
„Ich werde dir etwas zu Essen
holen und etwas Gras damit die schlimmsten Schmerzen betäubt werden.“
Skeptisch betrachtete Frank
seinen Zellengenossen. „Warum tust du das?“
Hage zuckte mit den Schultern.
„Du bist ganz in Ordnung. Zumindest mehr als die meisten anderen hier und Hulio
ist ein Scheißkerl. Macht einen auf dicke Hose, seit ich hier bin. Hat wohl
gute Kontakte, bis ganz nach oben. Ich sag es ja, ein Scheißkerl. Mir hat diese
Sache
noch nie
gefallen und wenn die Jungs sich Vergewaltiger vorknöpfen ist es auch noch eine
andere Sache“, meinte er ruhig.
Frank schien noch immer etwas
irritiert zu sein. Hage hatte seine Frage nicht gerade so beantwortet wie er es
erwartet hatte, aber der Schmerz in seinem Körper war größer als die
Neugierde und die Aussicht auf Gras ließ ihn seine Kräfte sammeln. Der
Schwindel zwang ihn Hages Hilfe beim Gehen anzunehmen, auch wenn ihm die Blicke
der anderen Häftlinge noch immer verfolgten.
Er ließ sich trotzdem langsam von
Hage aus der Zelle führen. Auf dem Weg zum Innenhof gab er ihm einen kleinen
Joint, den Frank einmal zwischen seinen Fingern hin und her drehte, weil er
derart winzig war das er es erst für einen Witz hielt.
„Warte auf dem Hof, auf mich. Ich
bringe dir gleich etwas zu essen.“
Frank nickte und lehnte sich
vorsichtig an die Mauer, als könnten seine Füße sein Gewicht noch nicht tragen.
Beim Anlehnen spürte er das erste Mal, das auch sein Rücken etwas abbekommen
hatte, aber es war schon fast angenehm. Er drückte sich stärker gegen die Wand,
so konnte er seinen Schmerz immerhin abwechseln.
Die Sonne schien wärmend auf
seine Haut und der Joint zeigte schon nach wenigen Zügen seine Wirkung. Es
wunderte ihn, dass er ganz alleine auf dem Hof stand. Normalerweise tummelten
sich die Häftlinge bei diesem Wetter hier draußen, aber er beschwerte sich
nicht. Er war nicht gerade scharf darauf, jemanden zu sehen, geschweige denn
auf die Blicke. Er wusste selbst, was einem durch den Kopf ging, wenn man das
arme Schwein der letzten Nacht sah.
Man demkt, zum Glück hatten sie nicht mich.
Auf dieses falsche Mitleid konnte
er verzichten. Sein Blick fing an etwas zu flackern und das Sonnenlicht wurde
plötzlich viel heller. Das Pochen in seinen Gliedern wurde plötzlich tausendmal heftiger, nur um dann ganz langsam,
aber mit jedem Zug mehr, abzuklingen. Ohne es zu wollen erinnerte er sich daran
wie Marie ihm mal nach einer Barschlägerei versorgt hatte. Ihre kleinen Hände
hatten ihn den Schmerz schnell vergessen lassen.
Aber Sunshine ist nicht hier. Es gibt hier nur mich, den Joint und
einen erstaunlich freundlichen Riesen.
Hage gesellte sich wieder zu ihm.
Er reichte ihm eine volle Schüssel mit einer Pampe die nach Erbsensuppe aussah
und ein Butterbrot. „Danke“, sagte Frank ernst. „Im Allgemeinen, meine ich …“
Hage grinste schief, anscheinend
machte ihm die ganze Sache nichts aus. Als wäre es für ihn selbstverständlich
so etwas zu tun, schon komisch das es immer die Menschen sind, von denen man
ein schlechtes Bild hat, die einem dann plötzlich zur Seite stehen.
„Bedank dich wenn das Zeug seine
Wirkung zeigt“, meinte er und deutete auf den Joint.
„Hat es schon“, antwortete Frank.
Das Grinsen wurde noch ein Stück breiter, während er den Kopf schüttelte.
„Glaub mir mein Junge“, meinte
der Große. „Das ist noch nicht Mal annähernd die Wirkung von der ich gesprochen
habe.“
Auch Frank rang sich ein Grinsen
ab und sog noch einmal an dem Joint. Wieder mal hatte er auf Grund der Größe
eine Fehlbeurteilung gestellt.
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