Die
Fakten
Als SVV bezeichnet man
Selbstverletzendes Verhalten, womit Handlungen gemeint sind bei der es zu einer
bewussten Schädigung des Körpers kommt. In unserer Gesellschaft stößt
derartiges auf starke Ablehnung obwohl ein Großteil der Bevölkerung bereits
Erfahrungen damit gemacht hat. Selbstverletzung ist kein eigenständiges
Krankheitsbild, vielmehr tritt es in Verbindung mit einer anderen psychischen
Störung und/oder Erkrankung auf.
Viele Jugendlich leiden
unter starken Druck den sie mit Hilfe von SVV versuchen zu entkommen. Oftmals
tritt diese dann in Form von Schnittverletzungen auf. Dazu werden unterschiedlichste
Gegenstände genutzt von Messern, Rasierklingen,
Scherben bis hin Nadeln oder Scheren.
Ritzen ist
zu einer häufigen Form der SVV geworden, jedoch ist es nicht die einzige.
Verbrennungen oder Verätzungen sind ebenfalls möglich. Erstaunlich ist das SVV
wesentlich häufiger bei jungen Mädchen auftritt als bei Jungen oder Männern.
Allerdings leiden nicht nur Teenager darunter, auch junge Erwachsene haben
oftmals den Drang sich zu verletzten. Wie viele Menschen sich in Deutschland
selbst verletzen ist nicht bekannt, Schätzungen liegen aber bei ca. 620. 000
Menschen.
Warum man sich selbst verletzt
Die meisten Leser werden
wohl kaum verstehen können wie man überhaupt auf die Idee kommt sich selbst zu
verletzten. Die Ursachen hierfür sind allerdings sehr unterschiedlich und
dürfen nicht leichtfertig über einen Kamm geschert werden.
Oftmals ist es ein Schrei nach
Hilfe. Man weiß nicht wie man um Hilfe bitten soll oder wie man seine Gefühle
zeigen kann. Der innere Druck wird irgendwann so groß das man nicht mehr weiß
wie man damit umgehen soll, ein Schnitt kann kurzzeitige Erleichterung
verschaffen diesen inneren Druck abzubauen. Während
einer Verletzung schüttet der Körper „Glückshormone“ aus und verschafft so
Erleichterung.
Oftmals ist
es jedoch nicht nur ein Abbau von Druck, sondern auch eine Methode um sich
selbst wieder zu spüren. Innere Leere kann den Wunsch wecken wieder IRGENDETWAS
zu spüren.
Auch der
Wunsch sich selbst zu bestrafen kann zu einer SV führen. Schmerz kann eine
Zeitweise „heilende“ Wirkung haben. Man fühlt sich wieder als hätte man die
Kontrolle über sich und seinen Körper.
Die Unterschiede zwischen SSV
Es gibt grob gesagt zwei
Gruppen von Menschen die sich selbst verletzten.
Die Öffentlichen
Die Öffentlichen
Wer sich massiv selbst
verletzt und dies nicht vor dem Umfeld versteckt schreit auf eine stille Art
nach Hilfe und Aufmerksamkeit. Allerdings kann die SV auch ausgenutzt werden um
z.B. Klausuren und anderen Stressquellen aus dem Weg zu gehen. So gibt es Fälle
in denen die SV nur auftritt wenn große Stresssituationen auftreten. Etwa gab
eine 13 Jährige bei ihrer Hausärztin an sich geritzt zu haben um nicht den Mathetest
zu schreiben.
Auch „Gruppenritzen“ ist
keine Seltenheit. Einige Jugendliche machen einen Wettkampf darum wer sich am
besten verstümmelt oder setzen Klingen etc. gegenseitig an. Auch hier ist der
Schrei nach Aufmerksamkeit mehr als deutlich. Das Bedürfnis wahrgenommen zu
werden steht über dem Körperlichen Wohl.
Die Heimlichen
Auf der anderen Seite stehen
die Betroffenen denen es peinlich ist, dass sie sich nicht anders zu helfen
wissen. Sie nutzen meist lange Kleidung um die blutigen Striemen zu verdecken
oder ritzen sich an Stellen die weniger leicht zu sehen sind z.B. Füße, Bein,
Bauch …
Meistens gelingt es diesen
Menschen ihre Krankheit länger vor Familie und Freunden geheim zu halten,
allerdings lässt sich eine SV nicht ewig verbergen. Es bleiben Narben die einen
früher oder später verraten. Während bei den „öffentlichen Schlitzern“ nach der
Pubertät oftmals Schluss mit der SV ist, kämpfen die Heimlichen meist ein Leben
lang damit. Einen Rückfall bemerkt man bei dieser Gruppe eher selten, da sie
über die Zeit schnell lernen wie sie es vor ihrem Umfeld geheim halten können.
Ohne eine Therapie ist es im
Allgemeinen schwer von einem SVV Abstand zu nehmen. Die Ursachen sind
unterschiedlich und müssen aufgeschlüsselt werden, damit der innere Druck nicht
mehr zur Dauerbelastung wird.
Meine
Erfahrung mit SVV
Bei mir fing es wie bei den
meisten anderen auch während der Pubertät an. Ich ritze mich immer dann, wenn
ich das Gefühl hatte das mir die Welt zu viel wurde. Der innere Druck nach
Perfektion war so groß das ich zeitweise mehrere Male am Tag „schlitzen“
musste. Dabei ging es mir persönlich weniger um den Schmerz, den ich in solchen
Momenten ohnehin nicht fühlte, als vielmehr um das Bluten.
Ich bestrafte mich selbst
dafür, dass ich in meinen Augen zu schwach war. Natürlich konnte ich das
irgendwann nicht mehr vor meiner Familie und in der Schule geheim halten.
Obwohl ich so oft es ging den Sportunterricht und das damit verbundene Umziehen
in der Gruppe schwänzte, kam es doch irgendwann raus. Ehe ich mich versah
musste ich mit dem Schulpsychologen sprechen und die ständigen Fragen ertragen:
„Warum tust du dir das an?“
Das hat den Druck auf mich
jedoch noch vervielfältigt.
Mit 16 war ich dann
offiziell geheilt von dem ritzen – aufgehört habe ich damit jedoch nicht. Ich
habe es nur anders gemacht. Nicht mehr den ganzen Arm genommen, sondern nur
noch ein oder zwei Schnitte auf meinen Schenkeln gemacht. Später dann die Füße
usw.
Nach dem Ende der Schule
ging es dann eine ganze Weile ohne. Mit 18 Jahren dachte ich, ich hätte es von
ganz alleine geschafft damit aufzuhören, doch dann hatte ich wieder einen
Rückfall und noch einen. Noch immer war es nicht so schlimm wie in früheren Jahren.
Einzelne Schnitte die man gut als Unfall tarnen konnte, eine kleine Verbrennung
hier und da. Ich redete mir ein dass ich es im Griff hatte, doch irgendwann
musste ich mir eingestehen dass es nicht so war. Ich suchte mir sogenannte
„Skills“ die mir dabei helfen sollten etwas anderes zu tun als mich zu
verletzten. Ich kaute auf Chilischoten, schnipste mit einem Gummiband gegen
meine Haut oder hielt so lange die Luft an wie ich konnte. Doch all das brachte
nicht den gewünschten Druck Abbau – es half mir nicht so sehr wie das bluten.
Dennoch war ich inzwischen
älter und mir war klar, dass es nicht richtig ist sich selbst zu schneiden oder
zu verbrennen. Ich versuchte eine lange Zeit es mir abzugewöhnen und schaffte
es schließlich auch – dachte ich zumindest. Wieder einmal.
Inzwischen bin ich 24 Jahre
alt.
Meine letzte
Selbstverletzung ist ca. 8 Monate her.
Das letzte Mal als ich mich schnitt
wusste ich dass mein Freund mich belügt und betrügt. Das war der Auslöser an
dem ich doch wieder zur Klinge griff, weil ich nicht wusste wie ich es sonst
schaffen sollte damit zu Recht zu kommen. Es waren nur zwei kleine Schnitte.
Nicht besonders tief und nicht auffällig, aber sie waren da.
Inzwischen habe ich wieder
eine Therapie angefangen. Das kann ich nur jedem raten der ebenfalls mit SVV
kämpft.
Wir sind mehr wert, als uns
selbst weh zu tun.
Ich wünsche Dir sehr, dass Du es irgendwann hinter Dir lassen kannst. Im Internet habe ich mehrere Menschen kennengelernt, die davon betroffen sind, und habe sie eine Weile begleitet bzw. begleiten dürfen.
AntwortenLöschenLiebe Grüße, Tamaro