9.
Sie
stand im Regen, nass und frierend. Nur mit einem kurzen Rock und einem T-Shirt
bekleidet. Ihr rotes Haar wirkte durch den Regen fast schwarz, das Make-Up war
verschmiert und lief ihr wie schwarze Tränen die Wangen herunter. Es sah fast
so aus als hätten sie geweint. Vielleicht hatte sie das auch. Er konnte seinen
Blick nicht von ihr abwenden. Seit mindestens einer halben Stunde starrte er
sie schon an. Er blickte kurz auf seine Uhr, seit genau 35 Minuten.
Seit wann verschwendest
du deine Zeit damit kleine Mädchen im Regen anzustarren? Es wird schon seine
Gründe haben das sie dort wartet. Vielleicht kommt jeden Moment ihr Freund um
die Ecke. Oder ihr Vater. Sie sieht jung genug aus, damit ein Vater sich noch
Sorgen um sie macht.
Das
Mädchen schlang die Arme eng um ihren Körper, um nicht so stark zu zittern.
Wieder musste er auf seine Armbanduhr blicken.
Egal auf wen sie wartet,
wenn er in den nächsten zehn Minuten nicht kommt, holt sie sich eine
Lungenentzündung. Wer lässt ein Mädchen einfach im Regen stehen?
Ihre
Schuhe schienen das Wasser aufzusaugen und um ihre Füße herum hatten sich
Pfützen gebildet. Die Wärme der Bar und die Kühle seines Bieres erschienen ihm
ironisch zu diesem Gegensatz.
Was soll´s? Entweder ich
starre sie weiter an oder ich gehe zu ihr. Sie sollte in
dieser Gegend nicht zu lange alleine sein, ich bin sicher nicht der Einzige der
sie gesehen hat.
Schnaubend
schob er sich von dem Barhocker. Der Regen trommelte lauthals auf ihn ein
sobald er die schützende Wärme der hinter sich gelassen hatte. Sie sah ihn
nicht einmal an, während er sich ihr näherte. Frank hielt seinen Schirm über
sie.
„Wenn
du hier weiter im Regen rumstehst holst du dir noch den Tod“, meinte er ernst.
Einen besseren Spruch
konnte ich mir also nicht einfallen lassen? Jetzt klinge ich, als würde ich
versuchen ihren Vater zu spielen.
„Willst
du dich nicht lieber um deinen eigenen Scheiß kümmern?“, zischte sie giftiger
zurück, als er es erwartet hatte und er hätte fast gegrinst.
Nettes Mädchen!
Er
räusperte und rang sich ein seltenes Grinsen ab.
„Ich
würde gerne mein Bier austrinken, aber du stehst hier seit fast einer Stunde.
Meinst du nicht es wäre besser im Trockenen zu warten?“, murmelte er gerade
laut genug, dass sie es durch den Regen hören konnte. Sie betrachte ihn
skeptisch.
„Du
starrst mich also seit fast einer Stunde an?“
Verdammt, wäre ich doch
bei meinem Bier geblieben.
„Du
bist der einzige Mensch auf der Straße, da fällt es schwer sich nicht darüber
zu wundern. Wartest du auf jemanden?“
Sie
schien nicht so recht zu wissen, wie sie ihn einordnen sollte. Ihre grünen
Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen und die Regentropfen die sich
zwischen ihren Wimpern verfangen hatten schimmerten im matten Licht der
Straßenlaterne.
„Auf
den Bus.“
„Da
kannst du noch lange warten, der fährt frühstens in 4 Stunden.“
„Dann
werde ich wohl noch 4 Stunden hier stehen.“
Er
schnaubte. „Meinst du nicht es wäre klüger zumindest eine Weile im Trockenen zu
verbringen?“ fragte er, nachdem sie nach einigen Sekunden noch immer nichts
gesagt hatte. „Du kannst mir ein Bier ausgeben“, zischte sie und schob sich an
ihm vorbei in Richtung Bar.
Ich hätte auch einfach
sitzen bleiben können, aber nein. Ich musste mich ja wieder einmal in etwas
einmischen das mich nicht angeht … Verdammt, die Kleine hat mehr Feuer in ihrem
Knochigen Arsch als ein Vulkan. Das kann nicht gut ausgehen.
Sie
ließ sich von ihm in eine kleine Kneipe führen. Frank war oft hier und nickte
dem Mann hinter der Bar zu. Obwohl es hier wesentlich wärmer war, fror sie noch
immer. Frank zog missmutig seine Jacke aus und reichte sie ihr. Sie sah ihn
etwas verwirrt an und streifte die Jacke dann über, ohne etwas zu sagen.
Immerhin scheint sie
langsam zu verstehen, dass nicht vorhabe sie zu kidnappen und an die Asiaten zu
verkaufen.
Er
setzte sich an die Bar. Aus dem Augenwinkel betrachtete er die zerrissene
Strumpfhose, durch den Stoff konnte er ihre blasse Haut sehen. Und blauen
Flecken, sehr viele blauen Flecken. Selbst durch die schwarze Strumpfhose war
deutlich zu erkennen, dass es kaum einen Fleck ihres Körpers gab der keine
Spuren aufwies. Er fragte sich was passiert war, konnte es aber nicht über sich
bringen sie danach zu fragen.
„Ein
Bier“ bestellte er.
Marie
sah den Mann hinter der Bar an und lächelte seine Skepsis einfach weg. „Ein
Sherry wäre mir lieber gewesen“, meinte sie trocken.
„Du
kannst schon froh sein wenn du ein Bier bekommst. Wie alt bist du?“
„21.“
„Du
bist wohl weder eins der Mädchen die nichts vertragen noch eines das Probleme
hat zu lügen?“ fragte er schmunzelnd. Marie schüttelte den Kopf, wobei
Wassertropfen aus ihrem Haar durch die Gegend flogen. Sie wischte sich mit den
Handrücken über die Augen - ein einsamer Versuch ihr Make-up zu retten.
„Lädst
du öfter Minderjährige auf einen Drink ein“, konterte sie bissig. Er lachte
leise. So hatte er sich nicht vorgestellt, auch wenn er keine Ahnung hatte was
sonst passieren sollte. Es fühlte sich an als würde er nur handeln, ohne
wirklich nachzudenken.
Normalerweiße gehe ich
Mädchen wie ihr aus dem Weg. Die bedeuten immer Ärger. Aber nun sitze ich hier
und trinke ein Bier mit ihr. Warum zu Hölle kann ich nicht mehr klar denken?
Will ich sie anbaggern oder ist es nur der Beschützerinstinkt der mich in einen
Volltrottel verwandelt?
„Eigentlich
nicht“, gestand er. „Aber ich wollte dich nicht alleine im Regen stehen
lassen.“
„Das
ist ja wirklich herzerwärmend.“
Er
nippte an seinem Bier, nur um etwas anderes zu tun als sie wie ein Irrer
anzustarren.
„Die
Meisten können das, einen stehen lassen“, meinte sie und leerte ihr Glas mit
einem Zug. Sie war wirklich alles andere, als eins der üblichen Mädchen, sie
verzog nicht einmal die Miene beim Trinken. „Ich bin nicht wie die Meisten“,
meinte er ehrlich.
Sie
betrachtete ihn und nickte. Seine Glatze hatte er unter einer dicken, schwarzen
Wollmütze versteckt und die Regentropfen hatten sich in seinem Bart verfangen.
„Das
sehe ich. Ich bin Marie.“
„Frank.“
Einen
Moment lang fragte er sich, ob das kleine Lächeln das sie ihm schenkte echt
war. „Du kommst nicht von hier oder?“
wollte er wissen. Marie schüttelte den Kopf. Trotz des ruinierten Make-Ups und
der viel zu großen Jacke, sah sie wunderschön aus. Nicht wie die anderen
Frauen, nicht so wie die Mädchen in ihrem Alter aussehen sollten. Sie wirkte älter.
Etwas an dem Ausdruck in ihren Augen, ließ ihn zittern. Ihre Augen waren von
einem seltsamen grün, dass so dunkel und tiefgründig war, wie der Ozean, nur
das es eben kein Ozean war. Sie schienen etwas abgrundtief Trauriges
auszustrahlen, das kein normaler Mensch verstehen konnte.
„Ich
komme aus Atlanta“, erklärte sie ruhig. „Bin vor einem Jahr dort weg.“
Warum
sagte sie nicht, aber Frank konnte ahnen, dass sie von zu Hause abgehauen war,
wie so viele andere. Aber sie sah nicht aus wie eine Nutte oder als wäre sie
Speed-abhängig. Er wusste nicht wie er sie einordnen sollte und nickte nur.
„Und
was zieht dich nach Chicago? Für mich wäre es der letzte Ort an den ich gehen
würde.“
Sie
bestellte noch ein Bier und sah ihn auf eine seltsame Weise an. Das T-Shirt
klebte so sehr an ihrer Haut, dass sich alles darunter abzeichnete, obwohl er
Gentlemen genug war, um ihr nicht die gesamte Zeit auf die Nippel zu starren.
„Ehrlich gesagt war es ein Versehen“, gestand sie, wobei sie leicht lächelte.
„Ich hab den falschen Bus genommen.“
Jetzt
musste Frank wirklich grinsen.
„Na
so ein Glück“, meinte er und nippte noch einmal an seinem Glas. Sie warf ihm
einen seltsamen Seitenblick zu und neigte dann den Kopf nach unten, damit er
ihr Lachen nicht sah.
OMG
AntwortenLöschenDas bisher BESTE Kapitel <3 <3 <3
liest sich super!!! ♥
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